Vorbereitungen zum Kampf
'Allii richtete seine
Aufmerksamkeit nun auf Mu'awija. Mit Ausnahme von Syrien wurde 'Allii jetzt vom
ganzen Reich als Amirul Mu'minin anerkannt. Aber der vierte Amirul Mu'minin
kehrte nicht nach Medina
zurück, sondern wählte Kufa als Hauptstadt. Dafür
hatte er zwei Gründe: Erstens besaß er
hier eine sehr große Anhängerschaft, und zweitens waren die
Staatseinkünfte im Iraq reichlicher als in Medina. Mit ihnen
konnte man einen Krieg gegen die reiche Provinz
Syrien leichter führen. Vor einem Krieg wollte 'Allii jedoch alle friedlichen Mittel ausschöpfen. Er
schickte einen Unterhändler zu Mu'awija, der den syrischen
Gouverneur aufforderte,'Allii anzuerkennen.
Mu'awija erwiderte jedoch:
"Lasst zuerst die Mörder 'Usmaans
bestrafen. Dann lasst die Muslime ihren
Amirul Mu'minin frei wählen."
Es war klar, dass Mu'awija
'Allii so lange wie möglich hinhalten wollte.
Er war seit 'Umars Regierung Gouverneur von Syrien und
Befehlshaber der syrischen Armee. Klug und überlegt hatte er
sich beim Volk beliebt gemacht. 'Usmaan Ermordung gab ihm
Gelegenheit, aus seiner Beliebtheit Vorteil zu ziehen.
Mu'awija war sich seiner Macht bewusst und wollte diese um
jeden Preis behalten. Er würde nur nach hartem Kampf
aufgeben.
'Allii zog mit einem
großen Heer von Kufa aus los. In An-Nahila schloss
sich ihm 'Abdullah ibn 'Abbas an, der Gouverneur von
Basra, und mit ihm seine Armee. Nachdem 'Allii
seine Streitmacht neu geordnet hatte, zog er nordwärts nach
Syrien. Er überquerte den Euphrat und errichtete ein Feldlager bei Siffin.
Mu'awija war auf den Kampf
gut vorbereitet. Die Oberen der Umayjaden, die aus Medina geflohen waren,
hielten sich alle bei ihm auf. Sie standen seit Jahren im Blickpunkt der
Öffentlichkeit, und nun verstärkten sie Mu'awijas Macht. Er gewann auch 'Amr ibn
Al-'As für sich, den Eroberer von Ägypten, der wegen seiner Staatskunst berühmt
war. Mu'awija stachelte das Volk so auf, daß es fast in Hysterie verfiel. 'Usmaans
blutgetränktes Hemd und Na'ilas abgeschlagene Finger wurden oft in der
Hauptmoschee von Damaskus gezeigt, und bewegende Geschichten wurden über die
tragische Ermordung 'Usmaan verbreitet. Das Ergebnis war ein Sturm der
Entrüstung, und Tausende von Syrern schworen, den Tod 'Usmaans zu rächen. Sie
legten einen Eid ab, weder in einem Bett zu schlafen noch ein kaltes Getränk zu
sich zu nehmen, ehe dies nicht geschehen sei. Mu'awija erfuhr von 'Alliis
Vormarsch. Er führte ihm ein Heer entgegen, das sich auf der anderen Seite von
Siffin niederließ. Beide Heere waren bereit, sich miteinander zu messen.
Zwei Tage lang geschah
nichts. Dann sandte ´Allii (r) am dritten Tag drei
Unterhändler zu Mu'awija. Einer von ihnen, Baschir, sagte zu
ihm:
"Mu'awija! Dieses Leben
ist kurz. Du musst vor Allah treten und dich für dein
Tun verantworten. Ich beschwöre dich in Allahs Namen, keine
Zwietracht unter den Muslimen zu säen. Ich bitte dich,
vergieße nicht das Blut von Muslimen in einem Bürgerkrieg."
"Warum hältst du diese
Predigt nicht deinem Freund 'Allii?" fragte Mu'awija.
Baschir antwortete:
"'Alliis Fall ist anders
als deiner. Er ist ein Mann von großer Gelehrsamkeit. In
der Religion nimmt er eine hohe Stellung ein. Er ist einer
der aller ersten Muslime und sehr nah mit dem Propheten,
Allahs Segen und Friede auf ihm,
verwandt. All dies macht ihn zum am meisten geeigneten Mann für
die Regierung. Auch du solltest ihm Treue
Mu'awija erklärte:
"Aber sollte ich das
Verlangen aufgeben, 'Usmaan Tod zu rächen? Bei Allah,
das will ich niemals tun!"
Baschir wollte etwas
entgegnen, aber sein Begleiter Sait kam ihm zuvor mit den
Worten:
"Mu'awija, wir wissen gut,
was du meinst. Du zögertest, 'Usman zu helfen
und bist dadurch mitschuldig an seinem Tod. Und nun nimmst
du seine Ermordung als Vorwand, die Regierung zu beanspruchen. Bedenke,
dass dir diese Handlungsweise
nichts Gutes bringen wird! Sollte es dir nicht gelingen, Amirul
Mu'minin zu werden, hast du ein sehr hartes Los zu erwarten. Aber auch
wenn du Erfolg haben solltest, kannst du dem Feuer der Hölle
nicht entgehen!"
Diese Worte machten
Mu'awija sehr ärgerlich. "O du hochmütiger Bauer", wetterte er, "du hast eine große Lüge aufgetischt. Geh weg! Das Schwert soll entscheiden!"
Die Unterhändler kamen mit
leeren Händen zurück, und der Kampf schien nun unvermeidlich. Beide Seiten
hatten jedoch offenbar keine
Lust, ihn zu beginnen. Muslime standen nun Muslimen gegenüber;
manchen von ihnen klangen noch die Worte des
Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, aus seiner letzten Rede
in den Ohren:
"Das Leben, die Ehre und
das Eigentum eines Muslimbruders seien euch heiliger
als der heilige Monat des Hadsch und das heilige Gebiet von
Mekka."
In beiden Armeen waren
Männer, die mit eigenen Ohren diese Worte aus dem Munde des Propheten, Allahs
Segen und Friede auf ihm, gehört
hatten, und sie hofften aufrichtig, dass noch ein Weg
gefunden würde, den Bürgerkrieg zu verhindern.
Im Monat Du-1-Higga des
Jahres 36 n.H. begann der Kampf mit einzelnen
Gefechten; nach einigen Tagen folgten leichte Zusammenstöße
kleinerer Kampfgruppen. So zog sich der ganze Monat
Du-1-Higga hin. Als der Neumond des neuen Jahres am Himmel
erschien, wurden die Gefechte eingestellt,
Diese Zeit war eine
günstige Gelegenheit für neue Friedensgespräche;
denn auf beiden Seiten wollte man keinen Bürgerkrieg. 'Allii
(r) sandte als erster eine neue Friedensdelegation
zu Mu'awija. 'Adi ibn Hatim At-Ta'ii, der sie führte,
sprach zu Mu'awija:
"O Mu'awija, wir kommen zu
dir mit einem Angebot von Frieden und Liebe.
Wenn du es annimmst, enden die inneren Streitigkeiten der
Muslime, und es gibt kein Blutvergießen. Bedenke, 'Allii ist
dein Bruder! Er ist der erste unter den Muslimen; außer dir
und deinen Leuten haben ihn alle als
"Ich bedauere", sagte
Mu'awija, "kommst du, um Frieden zu machen oder um mich
zu bedrohen, 'Adi? Bei Allah, ich bin der Enkel von Harb,
ich fürchte mich nicht vor dem Krieg!
Ich weiß, dass auch du
irgendwie mit der Ermordung 'Usmaans zu tun hast. Dafür
wirst auch du zu leiden haben!"
Die übrigen Unterhändler
gaben dem Gespräch eine andere Wendung. Sie
sagten:
"Mu'awija, lass diese
Dinge beiseite. Sprich lieber darüber, wie man den Streit
beenden kann. Das einzig Notwendige ist der Friede. Auch
dir ist 'Alliis Gelehrsamkeit und Frömmigkeit
bekannt. Kein frommer und gelehrter Mann wird seine
Führerschaft in Frage stellen. Fürchte Allah, Mu'awija, und gib
deine Opposition gegen 'Allii auf! Wir kennen keinen
frommeren und menschenfreundlicheren Mann als 'Allii."
Darauf antwortete
Mu'awija:
"Du verlangst von mir,
dass
ich mich 'Allii unterwerfe. Das tue ich nicht; denn
er ließ es zu, dass 'Usman getötet wurde. Es führt nur
ein Weg zum Frieden: 'Allii soll uns die Mörder 'Usmaan
ausliefern. Sie sind in seinem Lager und sind noch dazu
seine Freunde. Wenn wir sie getötet haben, werden wir 'Allii
gehorchen."
"Dann würdest du auch
einen führenden Mann wie 'Ammar ibn Jasir töten?"
fragte einer der Abgesandten.
"Was ist denn Besonderes
an 'Ammar?" wollte Mu'awija wissen. "Ich würde
ihn auch töten, wenn er einen Sklaven 'Usmaan erschlagen hätte."
"Bei Allah, das ist nicht
möglich", gab der Mann zurück, "solange unsere
Köpfe noch auf den Schultern sind und die Erde und der Himmel
nicht zu eng für dich werden!"
"Wenn die Dinge einen
solchen Lauf nehmen", sagte Mu'awija, "dann
wirst du es vor mir spüren."
Damit war auch diese
Friedensmission gescheitert.
Das nächste
Friedensgespräch ging von Mu'awija aus und wurde von Habib ibn
Muslima Al-Fahrii geleitet. Zu 'Allii gewandt,
sagte er:
'"Usman war ein
rechtmäßiger Amirul Mu'minin, er folgte dem Buch Allahs und dem
Beispiel des Propheten,
Allahs Segen und Friede auf ihm,
und gehorchte den Geboten Allahs. Du
liebtest ihn nicht, und du hast ihn zu Unrecht getötet.
Wenn du behauptest, du hättest nichts mit seinem Tod zu tun,
dann liefere uns seine Mörder aus. Wir werden sie töten,
um 'Usman zu rächen. Danach sollten die Muslime in freier
Wahl entscheiden, wer ihr Amirul Mu'minin sein soll."
'Allii war beleidigt
und sagte:
"Wer bist du denn, dass du
mich aus meinem Amt drängen willst? Solche
Worte stehen dir nicht zu! Bleib friedlich! Mit dir kann man keine
Friedensgespräche führen!"
"Du wirst mich in einer
Stellung finden, die dich ärgern wird", entgegnete
Habib, worauf 'Allii sagte:
"Was kannst du mir schon
antun? Geh nur und tu, wozu du fähig bist!"
Ein anderes Mitglied der
Abordnung sagte darauf: "Wenn ich nun etwas sage, erhalte ich dann eine ähnliche
Antwort? Nämlich, hast du uns überhaupt etwas anderes zu sagen?"
"Ja", antwortete 'Allii,
"Allah hat uns in Seiner Güte Seinen Propheten gesandt. Er zeigte uns den Weg
der Wahrheit. Nach ihm kamen die Halifen Abu Bakr und 'Umar, und sie waren
gerechte Herrscher. Ich hatte etwas gegen sie; denn da ich ein naher Verwandter
des Propheten,
Allahs Segen und Friede auf ihm,
bin, habe ich geglaubt, es sei mein Recht, Amirul Mu'minin zu werden. Aber beide
waren gute Amirul Mu'minin, und ich fand mich mit ihnen ab. Dann kam 'Usman. Er
tat einiges zum Schaden des Volkes, und deshalb wurde er erschlagen. Danach
wandte man sich an mich. Ich hatte nichts mit dieser Untat zu tun, und sie
bedrängten mich, die Regierung zu übernehmen. Zuerst weigerte ich mich, aber als
ich sah, dass kein anderer Mann dafür in Frage kam, willigte ich ein, die Bürde
auf mich zu nehmen. Talha und As-Subair gelobten mir die Treue, dann waren sie
gegen mich. Und jetzt stellt Mu'awija sich mir entgegen. Er ist weder einer der
ersten Anhänger des Islam, noch hat er etwas Besonderes für den Islam
geleistet. Er, sein Vater und seine ganze Familie waren lange Zeit Gegner
Allahs, Seines Propheten und der Muslime. Sie kamen zum Islam erst, als sie
keine andere Wahl mehr hatten. Es ist wirklich seltsam, dass ihr auf Mu'awijas
Seite steht und gegen die Verwandten des Propheten seid. Ich fordere euch auf, nach dem Buch
Allahs und dem Beispiel des Propheten,
Allahs Segen und Friede auf ihm,
zu handeln! Ich rufe euch
auf, der Sache der Wahrheit zu helfen und gegen die
Unwahrheit zu kämpfen!"
"Aber was ist deine
Meinung über 'Usmaan Mörder?" wollte einer der
Abgesandten wissen. "War 'Usmaan Ermordung nicht eine
Ungerechtigkeit?" 'Allii erwiderte:
"Darüber sage ich nichts.
Ich sage weder, dass es gerecht noch dass es ungerecht
war."
Diese Äußerung den Amirul
Mu'minin beleidigte die Unterhändler so sehr, dass sie
aufstanden, um wegzugehen.
"Wir haben nichts mit
einem Mann zu tun, der nicht der Meinung ist, dass 'Usman
zu Unrecht getötet wurde", erklärten sie, als sie
hinausgingen.
Dann sprach 'Allii die
folgenden Ajachs des Qur'an (Surach 30, Ajach 52 und
53):
"Weder kannst du
die Toten hörend machen, noch kannst du
die Tauben den Ruf hören lassen,
wenn sie (Allah) den Rücken kehren, noch wirst du die Blinden aus ihrem Irrweg
leiten können. Nur die wirst du hörend machen, die an Unsere Zeichen den Iman
verinnerlichen und sich (Uns) ergeben." Mit dem Fehlschlag dieser Mission waren die Friedensgespräche wieder zu Ende, und keine der beiden Seiten unternahm einen weiteren Versuch zur Verständigung.
Am Abend des letzten Tages
des Muharram im Jahre 37 n.H. gab 'Allii seinem Heer den Befehl, die syrische
Armee am nächsten Morgen anzugreifen. "Sie haben genug Zeit zum Nachdenken
gehabt", erklärte er. Am Dienstag, dem ersten Safar, begann die Schlacht. Nach
einer Woche des Kampfes war noch kein klarer Vorteil für eine der beiden Seiten
zu erkennen. Am achten Tag hielt 'Allii eine aufrüttelnde
Rede, und dann führte er persönlich einen Generalangriff. Auf der anderen Seite
übernahm Mu'awija die Führung. Der zähe Kampf dauerte den ganzen Tag über, und
keine Seite erlangte einen Vorteil. Die hereinbrechende Nacht beendete das
Gefecht.
Früh am anderen Morgen
wurde der Kampf so hart wie vorher weitergeführt, und 'Alliis Heer ließ
schließlich Anzeichen von Schwäche erkennen. Aber 'Allii stürmte vorwärts,
und sein Beispiel ermutigte die verzagten Männer, so dass sie den Feind mit
erneuter Kampfeswut angriffen. Bald erzwangen sich einige von ihnen den direkten
Weg zum Zelt Mu'awijas. Der Kampf wurde diesmal nicht abgebrochen, sondern
wütete mit Heftigkeit die ganze Nacht hindurch, und selbst am nächsten Morgen
hörte der Waffenlärm nicht auf. Menschen und Tiere waren ermüdet, aber keine
Seite wollte sich ohne Entscheidung zurückziehen. 'Alliis Heer hatte nun einen
klaren Vorteil; er und seine Generäle starteten einen kraftvollen Angriff.
Mu'awijas Truppen wankten
unter der Gewalt des Ansturms, und an diesem Tag
schien Mu'awija klar zu verlieren. Eilig beriet er sich mit
'Amr ibn Al-'As, dann gab er seinen Männern ein
Zeichen. In wenigen Minuten machte sein Wort die Runde, und an
den Speeren der Syrer wurden Qur'an-
"Dies ist eine vom Feind
aufgestellte Falle! Fallt nicht hinein, kämpft weiter! Der
Sieg ist schon in Sicht! Ich kenne Mu'awija, 'Amr ibn Al-'As, Habib ibn Muslima, ibn Abi Sara und ibn Abi
Sa'id von Kindheit an. Dies ist eine List, die euch täuschen
soll!"
Aber viele seiner Leute
weigerten sich, auf ihn zu hören.
"Wie ist das möglich",
schrieen sie, "wir werden aufgerufen gegen das Buch
Allahs! Wie sollen wir dagegen kämpfen?" Als 'Allii
seinem Befehl, den Kampf fortzuführen,
"Entweder befiehlst du die
Einstellung des Kampfes, oder wir machen mit dir das
gleiche wie mit 'Usmaan!"
'Allii fühlte sich
hilflos - seine eigenen Männer halfen seinen Gegnern. Sie zwangen ihm eine
Entscheidung auf, von der er wusste, dass sie falsch war, aber er hatte keine
andere Wahl. Widerwillig ließ er schließlich den vorgedrungenen Teilen seines
Heeres sagen, dass sie den Kampf einstellen und sich zurückziehen sollten.
Von nun an stand 'Allii auf verlorenem Posten. Er sandte Männer zu
Mu'awija,
um herauszufinden, warum er den Qur'an zum Richter
über beide Parteien machen wollte.
Dessen Antwort war:
"Ich meine, dass jede
Partei einen Richter ernennen sollte. Die beiden Richter
sollten unter Eid erklären, dass sie sich vom Buch Allahs leiten
lassen wollen. Das Urteil, das sie abgeben,
"O, er ist mit dir
verwandt", riefen seine Anhänger, "der Richter sollte ein
unbefangener Mann sein!"
"Glaubt ihr, dass 'Amr ibn
Al-'As unparteiisch ist?", fragte 'Allii. "Dafür
müsste man die Syrer rügen, aber nicht uns", sagten sie.
"Nun, dann soll Malik
Al-Astar Richter sein", schlug 'Allii vor, "er ist nicht
mit mir verwandt."
"Was für ein Vorschlag!
Malik Al-Astar ist die Ursache allen Übels", riefen sie
aus und schlugen Abu Musa Al-As´arii vor.
"Auf sein Urteil kann ich
mich aber nicht verlassen", wandte 'Allii ein, "er ist
zu arglos."
Aber seine Männer wollten
sich auf keinen anderen Namen einlassen, und
widerstrebend musste 'Allii (r) schließlich zustimmen. Er
sagte:
"Tut, was ihr wollt."
Am 13. des Monats Safar im
Jahre 37 n.H. wurde eine Übereinkunft von
den führenden Männern beider Parteien unterzeichnet.
Darin hieß es, dass die Richter ihr Urteil bis zum Monat Ramadan
fällen sollten. Der Spruch sollte in einem Ort an der
Grenze zwischen Syrien und Iraq veröffentlicht
werden.
'Allii zog sich von Siffin mit dem Gefühl zurück, einen Verlust erlitten zu haben. Mindestens 90.000
Muslime waren in der Schlacht gefallen. In der Geschichte des Islam hatte es zuvor keinen so
hohen Verlust an Menschen gegeben. Sogar dieser hohe Preis
hatte nichts eingebracht als eine noch größere Verwirrung
der Lage.
Al-As'at ibn Qais wurde
von 'Allii beauftragt, den verschiedenen
Stämmen im Lager zu erklären, was vereinbart worden war. Der
Stamm der 'Ansa hatte 4000 Mann geschickt, um für 'Allii
zu kämpfen. Als diesem Stamm die Abmachung
vorgelesen wurde, standen zwei Brüder auf und
"Wir sind nicht bereit,
eine andere Entscheidung als die Allahs anzuerkennen. Warum
macht 'Allii die Menschen zu Schiedsrichtern,
statt auf Allahs Befehle zu hören? Wenn er das tut, was soll
dann aus unseren Männern werden, die ihr Leben seinetwegen
hingegeben haben?" Viele andere Stämme
sagten dasselbe. Ein großer Teil der Leute war gegen
einen Schiedsspruch, und sie sagten, 'Allii
Einige sagten zu 'Allii:
"Bitte halte dich nicht an
diese Übereinkunft! Wir fürchten, dass sie dir
schadet!"
"Ihr wart es ja gerade",
erwiderte er, "die mich zu dem Übereinkommen
gezwungen haben! Nachdem ich nun mein Ehrenwort gegeben
habe, verlangt ihr von mir, dass ich es breche. Das kann
ich nicht tun!" 'Alliis Anhänger spalteten sich bald in zwei Gruppen: Die eine
stand zum Abkommen, während die andere es als etwas Unreligiöses ansah. Im
ganzen Islamischen Reich fielen böse Worte für und gegen die Vereinbarung; aus
Worten wurden gelegentlich Schläge, und ernsthafte Krawalle brachen aus.
Als 'Allii wieder in
seiner Hauptstadt Kufa war, erhob sich eine starke Gruppe gegen ihn wegen des
Abkommens. Etwa 12.000 Mann verließen ihn und bildeten eine neue Partei mit Sait
ibn Rabi als ihrem Führer. 'Abdullah ibn Kawai As-Sakrii wählten sie, die Gebete
zu leiten. Ihre Politik war; "Allah allein gehört der Gehorsam. Unsere Pflicht
ist es, anderen zu sagen, dass sie Gutes tun und Böses meiden sollen. 'Allii und
Mu'awija irren sich beide. Mu'awijas Irrtum besteht darin, dass er den
rechtmäßigen Amirul Mu'minin 'Allii nicht anerkennt. Und 'Alliis Irrtum ist die
Aufnahme von Friedensgesprächen mit Mu'awija, den man hätte erschlagen müssen.
Er hat eine klare Forderung des Qur'an missachtet und Menschen zu seinen
Richtern bestellt. Wir wollen zuerst gegen diese beiden Männer kämpfen. Wenn wir
die Macht erzwungen haben, werden wir eine soziale Ordnung m Übereinstimmung mit
dem Buch Allahs errichten." 'Allii beauftragte 'Abdullah ibn 'Abbas, diese
Abweichler von ihrem Missverständnis zu befreien, und diese verwickelten ihn in
eine lang andauernde Auseinandersetzung. Daraufhin ging 'Allii selbst in ihr
Lager und versicherte ihnen, dass der Schiedsspruch nur angenommen würde, wenn
er genau mit dem Buch Allahs übereinstimme. Nach dieser Versicherung konnten die
Abweichler keine weiteren Bedenken mehr vorbringen, und unter großen
Schwierigkeiten gelang es 'Allii, diese Männer nach Kufa zurückzubringen. Die
Hauptstadt des Amirul Mu'minin bot einen bemitleidenswerten Anblick. Es gab kaum
eine Familie in Kufa, die nicht einen Vater, einen Bruder oder einen Sohn in
Siffin verloren hatte. Bittere Klagen über diese Verluste waren überall zu
hören. Die Tatsache, dass 'Allii mit leeren Händen zurückgekehrt war, vertiefte
die allgemeine Schwermut nur noch. Das Schlimmste war jedoch diese unglückliche
Zersplitterung in 'Alliis Lager. All dies zusammen bewirkte eine Mutlosigkeit,
von der sich 'Alliis Anhänger nie mehr erholen konnten.
Die beiden Richter dachten
ganze sechs Monate über die Angelegenheit nach. Dann trafen sie sich in der
Grenzstadt Daumatu1-Dschandal. Jeder hatte 400 Mann bei sich. Auf Verlangen
Mu'awijas nahmen auch unparteiische Männer hohen Ranges an dem Treffen teil.
Unter ihnen waren 'Abdullah ibn 'Umar, Sa'd ibn Abu Waqqas, 'Abdullah ibn
As-Subair und andere.
Abu Musa sagte:
"O ' Amr, wir haben genug
vom Bürgerkrieg. Lass uns etwas tun, seine Wunden
zu heilen."
'Amr antwortete:
"Ich stimme völlig mit dir
überein. Es ist besser, wenn wir genau festlegen,
worin wir übereinstimmen. Lass deshalb einen Schreiber
diese Punkte niederschreiben."
Der Schreiber kam und
begann, die Punkte festzuhalten, in denen beide
übereinstimmten. Das war zuerst der Iman an die Sendung des
Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, und die
Echtheit seiner Botschaft. Dann folgte die Feststellung, dass Abu Bakr und 'Umar rechtmäßige und gerechte Amirul
Mu'minin gewesen waren. Dann kam 'Amr auf 'Usmaan zu sprechen und sagte:
" 'Usman wurde mit
allgemeiner Zustimmung der Muslime gewählt, und er war
ein aufrichtiger Muslim."
Abu Musa: "Dieser Punkt
steht im Augenblick nicht zur Diskussion."
'Amr: "Aber wenn du
ihn nicht als aufrichtigen Muslim bezeichnest, war er dann ein Kafir?"
Abu Musa: "Also gut, dann
soll der Schreiber das auch niederschreiben."
'Amr: "Dann gibt es nur
zwei Möglichkeiten: Entweder wurde er zu Recht oder zu
Unrecht erschlagen."
Abu Musa: "Ja, er wurde
zu Unrecht erschlagen."
'Amr: "Wenn jemand zu
Unrecht getötet wurde, gibt Allah seinen Erben das
Recht, ihn zu rächen." Abu Musa: "Ja, Er gibt ihnen das Recht."
'Amr: "Du weißt, dass
Mu'awija der nächste Blutsverwandte 'Usmaan ist."
Abu Musa: "Ja, auch das
ist wahr."
'Amr: "Dann hat
Mu'awija
das Recht, Hand an die Mörder 'Usmaan zu legen,
wer es auch immer sei, und wo er sie auch immer finden
mag."
Abu Musa: "Das ist
ebenfalls richtig. Aber, 'Amr, dieser Streit hat sich als eine Plage für das
Volk erwiesen. Lass uns das Volk davon
befreien und einen Weg finden, es wieder glücklich zu
machen."
'Amr: "Kannst du einen
Vorschlag machen?"
Abu Musa: "Ja. Ich bin
sicher, dass die Syrer 'Allii niemals lieben werden und
dass das Volk des Iraq Mu'awija niemals anerkennen
wird. Wir sollten also diese beiden Namen fallen lassen
und 'Abdullah ibn 'Umar zum
Amirul Mu'minin
machen."
'Amr: "Wird er Amirul
Mu'minin werden wollen?"
Abu Musa: "Ich hoffe es,
vorausgesetzt, dass wir alle zu ihm hingehen und ihn
darum bitten."
'Amr. "Aber warum nicht
Sa'd ibn Abu Waqqas?" Abu Musa war mit Sa'ds Namen nicht einverstanden. 'Amr
schlug noch einige andere Namen vor, aber Abu Mus a stimmte keinem zu.
Beide Richter konnten sich nicht darüber einig werden, wer
Amirul Mu'minin werden sollte.
"Welche andere Lösung
hältst du dann für möglich?" fragte ´Amr.
Abu Musa antwortete:
"Nach meiner Meinung
kommen weder ´ Allii noch Mu'awija in Frage. Wir
sollten dem Volk erlauben, selbst einen Amirul Mu'minin zu wählen."
"Ich bin damit vollkommen
einverstanden", sagte 'Amr. Nun konnte der
Schiedsspruch bekannt gegeben werden.
'Amr forderte Abu Musa
auf, zuerst zu sprechen. Dieser stand auf und sagte:
"Wir sind übereingekommen,
weder 'Allii noch Mu'awija als Amirul Mu'minin
anzuerkennen. Ihr solltet einen anderen wählen, der euch geeignet
erscheint."
Dann stand ´Amr auf und
sprach:
"Ich halte 'Allii nicht
für geeignet, Amirul Mu'minin zu sein. Nach meiner Meinung ist
Mu'awija der richtige Mann für dieses Amt."
Diese Worte verursachten
einen großen Aufruhr. Der Schiedsspruch
erwies sich als üble Täuschung, und die Hoffnung auf
Frieden und Ordnung war wieder geschwunden. Alle
ehrbaren Leute verließen den Platz voller Abscheu. |